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Was wir gewinnen, wenn wir verzichten – Ein Interview mit Dr. Christian Firus

By Eric
Oktober 4, 2020
7 min read

Seit März 2020 bestimmt der Verzicht der Covid 19-Maßnahmen mehr oder weniger unseren Alltag. Im Detail zwingt uns der Virus auf liebgewonnene Gewohnheiten, auf persönliche und gesellige Freiheiten und auf soziale Nähe zu verzichten und schränkt unsere Reisefreiheiten extrem ein. Andererseits erleben wir auch Phasen, in denen wir auch freiwillig auf Verschiedenes verzichten: Zum Beispiel auf Essen, oder bestimmte Nahrungsmittel oder gesundheits- oder klimaschädliches Verhalten.


Warum weniger oft mehr ist!

Grund genug, um hier näher hinzuschauen, ob im Verzichten nicht auch eine Chance liegt. Dazu habe ich Dr. Christian Firus vor das Mikrophon geholt, der kürzlich sein neues Buch „Was wir gewinnen, wenn wir verzichten!“ publiziert hat. Christian Firus ist Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Psychiatrie und Traumatherapie in der Rehaklinik Glotterbad bei Freiburg. Seine Schwerpunkte sind die Behandlung von Depressionen, Burnout und die Förderung seelischer Gesundheit.


In dieser Episode erfährst du:

  • Ob „Hans im Glück“ ein Loser ist, oder doch ein Held?
  • Wie du dich vorbereiten musst, bevor du dich weiterentwickeln kannst.
  • Warum ein zuviel an Selbstoptimierung ein Boomerang sein kann, der dir um die Ohren fliegt.
  • Wo die Chancen in einer Krise liegen und wie du sie für dich nutzen kannst.
  • Dass Angst ein schlechter Ratgeber ist und deine Räume eng macht.
  • Die drei Top-Ansätze, wie du das Konzept des Verzichtens in dein Leben integrieren kannst.
  • Warum es eine Liebeserklärung deiner FreundeInnen ist, wenn sie enttäuscht sind, wenn du NEIN sagst.
  • Wie du durch Verzichten deinen Genuss und deine Freiheit steigern kannst.
  • Welche positiven Eigenschaften das intermittierende Fasten auf unseren Geist hat.
  • Warum Dankbarkeit die beste Medizin und die wertvollste Ressource ist, die wir für uns nützen können.


Shownotes:

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Wenn das Glas voll ist, passt nichts mehr hinein!

Ein Professor der Philosophie aus einem westlichen Land reiste einmal nach Asien. Er traf spannende Menschen und Gelehrte. Er stellte ihnen viele Fragen. Fragen nach Meditation und Gott, nach dem Sinn des Lebens und der Unendlichkeit. Doch er fand keine Antworten. Eines Tages wanderte der Professor immer weiter hoch in die Berge. Plötzlich stand er vor dem einfachen Haus eines Zen-Meisters.

Dieser lud den westlichen Mann zu sich ein. Der Professor sprudelte nur so vor Fragen und Wissensdurst. Er zählte dem Meister seine akademischen Titel auf und klagte ihm seine Verzweiflung über all die nicht beantworteten Fragen im Leben.

Der Meister schwieg. Dann sagte er: „Ich mache dir einen Tee.“ Ungeduldig wartete der Professor, bis der Meister mit einer Tasse zurückkehrte. Tee trinken? Fragte sich der weit gereiste Gast insgeheim. Ich bin doch gekommen, um Antworten zu bekommen. Ob diese Reise wohl umsonst war? Gedanken schwirrten durch seinen Kopf und als er gerade aufstehen wollte, kehrte der Zen-Meister mit einer Kanne frisch aufgebrühten Tees und einer Tasse zurück. Eine Tasse Tee nach der langen Reise schadet ja nicht, bevor ich gehe, dachte sich der Professor und blieb.

Der alte Mann begann einzuschenken. Der dampfende Tee lief in die Tasse. Immer weiter und weiter. Auch als die Tasse längst voll war und sich das heiße Getränk über den Rand auf die Untertasse ergoss, hörte er nicht auf zu gießen. Erschrocken sprang der Professor von seinem Stuhl auf. „Halt! Genug!“, rief er. „Die Tasse ist doch voll! Sehen Sie das nicht?“

Da hielt der Meister inne und schaute seinem Gast zum ersten Mal ins Gesicht. Seine faltigen Augen umspielte ein Lächeln. Plötzlich sah der Mann gar nicht mehr so gebrechlich aus. Weisheit und Lebenserfahrung strahlte jede Faser seines Körpers aus.

„Genauso wie mit dieser Tasse, ist es auch mit dir“, sprach der Meister ruhig. „Du bist vollgefüllt. Mit Fragen, mit Wissen, mit Vorurteilen. Wie kann ich dir da noch Antworten geben, wenn kein Platz mehr ist? Erst wenn du deine Tasse leerst, hast du wieder Platz. Für Neues, für Einsichten, für Antworten.“  (nach einer Zen-Geschichte)

Wo man nehmen will, muss man geben!  (Laotse)

Als ich Herrn W. das erste Mal bei der Visite kennenlernte, dachte ich sofort: Was für ein sympathischer Mensch, der mich gleich so anstrahlt, was wird dem wohl fehlen? Als ich ihn darauf ansprach, berichtete er mir, dass das genau sein Problem sei. Immer habe er anderen geholfen, sei es beim Hausbau, bei der Arbeit oder in der Familie, er habe das gerne gemacht und gar nicht bemerkt, wie er sich selbst dabei im Laufe der Zeit aus den Augen verloren habe. Als er dann eines Tages im Rahmen von Umstrukturierungen seiner Firma die Kündigung erhalten habe, sei für ihn die Welt zusammengebrochen. Wie vom Donner gerührt sei auf einmal sämtliche Energie aus ihm gewichen, er habe sich zu nichts mehr motivieren können, nicht einmal zu an sich freudvollen Dingen. Er habe sich zurückgezogen, auch weil er sich geschämt habe. Auch sei er von seinen Freunden und Bekannten enttäuscht gewesen, die sich so gar nicht um ihn, der sonst so hilfsbereit war, gekümmert hätten. Das Gefühl von völliger Erschöpfung und Niedergestimmtheit sei auch jetzt, 12 Monate nach der Kündigung, noch nicht ganz gewichen.

Ich spreche ihn nochmals auf sein strahlendes Auftreten an und teile ihm mit, dass man all das bei ihm ja gar nicht vermuten würde. Nachdenklich fragt er nach, ob andere vielleicht dadurch seine Bedürfnisse gar nicht wahrnehmen würden und er auch deswegen keine Unterstützung erfahre. Diese Gedanken sind der Beginn einer intensiveren Auseinandersetzung mit seinem Auftreten, dem Wahrnehmen und auch Äußern der eigenen Bedürfnisse. Herr W. merkt dabei mehr und mehr, dass er durch sein permanentes Engagement für andere bis zum Rande, bis zur Erschöpfung, voll war. Und er äußerte den Wunsch, daran etwas zu verändern.

In den folgenden Gesprächen beschäftigen wir uns zunächst mit den guten Gründen für dieses Überengagement. Denn wir eignen uns kein Verhalten ohne Grund an. Herr W. erkennt rasch, dass er durch seine Art immer viel Anerkennung erhalten habe. Schon in seiner Kindheit und Jugend sei das so gewesen, das habe ihn gefreut und sein Verhalten bestärkt. Ich erkläre ihm, dass daran nichts verkehrt sei. Dass wir uns allerdings Gedanken darüber machen sollten, woher denn bei einer Verhaltensänderung in Zukunft Anerkennung und Wertschätzung kämen.

Schließlich stoßen wir auf die Frage von Selbstwert und Selbstmitgefühl. Herr W. bemerkt, dass er sich selbst gegenüber meist kritischer sei, als andere ihn beurteilen würden. Mit sich selbst sei er eigentlich nie oder nur kurz und vorübergehend zufrieden. Daraus ergibt sich eine Aufgabe, die ich ihm ans Herz lege: Schreiben Sie jeden Tag wenigstens eine Sache auf, die Sie an sich mögen und finden Sie etwas, womit Sie bei sich selbst zufrieden sind. Als Fortgeschrittenenübung beginnen Sie in einem weiteren Schritt danach Ausschau zu halten, worauf Sie bei sich selbst stolz sind.

Aus: Was wir gewinnen, wenn wir verzichten. Christian Firus, Patmos, 2020

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