In dieser Podcast-Episode gehe ich mit Dr. Volker Busch der Frage nach, warum unser Gehirn permanent unter Strom steht und wie wir es kurzfristig auf "Urlaub" schicken können. Mein Gesprächspartner ist Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie und leitet die wissenschaftliche AG Psychosozialer Stress und Schmerz an der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Regensburg.
Außerdem ist Volker Busch einer der gefragtesten deutschsprachigen Keynote-Speaker, wenn es darum geht, geht die Welt der Neurowissenschaft publikumstauglich zu übersetzen. Seit mehreren Jahren gibt er sein Wissen und seine Erfahrung in Form von Vorträgen, Seminaren und Beratungen an Führungskräfte und Mitarbeiter von Unternehmen, sowie für verschiedene Gruppen oder Einzelpersonen weiter. Viel Spaß mit dem Interview!
In diesem Interview findest du Antworten auf die folgenden Fragen:
- Laufen wir Gefahr durch die zunehmende Reizüberflutung unser Gehirn und unseren Körper durch Stress zu überfordern?
- Was sind die größten Fehler, die viele von uns im Hinblick auf Aufmerksamkeitsdefizit und psychischen Stress machen?
- Wie müssen wir mit digitalen Medien und anderen Stressoren umgehen, um unseren Alltag gehirngerecht zu gestalten?
- Was sind eigentlich die Deep Work Phasen und wie kommen wir in diesen Zustand bzw. wie können wir ihn möglichst lang aufrechterhalten?
- Ist die Menschheit in ihrer Entwicklung am Zenit angekommen? Wie sollten wir leben, um die zu Verfügung stehende Zeit optimal zu nützen?
Shownotes:
- Podcast auf iTunes (Hier kannst du auch eine Bewertung abgeben)
- Podcast auf Spotify
- Website von Dr. Volker Busch
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Gehirn unter Strom
Ein Gastartikel von Dr. Volker Busch
Durch die Fortschritte der Informationstechnologie haben sich die Art und Weise, wie wir arbeiten und leben, grundlegend verändert. Die Transformation erfasst nahezu sämtliche Prozesse im beruflichen und privaten Alltag. Der Prozess ist erst in einem Anfang begriffen. Auch in Zukunft wird die viel zitierte „Digitalisierung“ zunehmende Teile des Lebens erfassen und besetzen. Die hohe Geschwindigkeit, mit der sich diese unaufhaltsamen Veränderungen einstellen, macht es notwendig den Umgang mit digitalen Medien und Informationstechnologie zu lernen. Die neurowissenschaftliche Forschung hilft dabei, die zugrundeliegenden Prozesse im Gehirn aufzudecken und Möglichkeiten einer Bewältigung aufzuzeigen.
Es geht nicht darum, digitale Medien schlecht zu reden oder sich dem Fortschritt in irgendeiner Weise entgegen zu stellen. Die modernen Kommunikationsmittel ermöglichen heute eine Menge fantastischer Möglichkeiten und erleichtern zweifelsohne allgemeine Abläufe. Wichtig jedoch erscheint ein verantwortungsvoller und v.a. maßvoller Umgang mit Ablenkungen, Unterbrechungen, Multitasking und Reizflut/Informationsüberladung. Im regelmäßigen Wechsel zwischen geistiger Anspannung und Zeiten der Ruhe entfalten wir unser größtes Potential. Neben einer Steigerung der Arbeitsleistung kommt es dann auch zu einem höheren Maß an Zufriedenheit und Stressreduktion. Die nachfolgenden Ratschläge sollen helfen genau dieses zu erleichtern:
Der Klau der Aufmerksamkeit
Ein Großteil der kognitiven Leistungen unseres Gehirns, wie etwa logisch-deduktives Denken, Problemlösekompetenzen oder Handlungsplanung, sind von dem Ausmaß unserer Konzentrationsfähigkeit abhängig. Diese wichtige Eigenschaft kommt uns heute im digitalen Alltag leicht abhanden. Pop up windows, push news, live ticker oder google alerts versuchen ständig einen Teil unserer kostbaren Aufmerksamkeit zu gewinnen und lenken uns von anderen Tätigkeiten ab. Je verlockender die Ablenkung, desto williger lassen wir uns unterbrechen. Ca. 45% der Wachzeit schweift ein durchschnittlicher Mensch am Arbeitsplatz heute geistig ab bzw. beschäftigt sich mit anderen Dingen als der eigentlichen Aufgabe. Im Straßenverkehr ist der Zusammenhang zwischen Ablenkbarkeit Verkehrsunfällen seit langem evident. Aber auch im Bereich der Schulpädagogik und Arbeitspsychologie zeigen Studien der letzten Jahre, daß häufige Unterbrechungen unser Denken und Handeln fragmentieren. Dadurch verhindern wir, daß wir in einer angemessenen Tiefe in unseren Aufgaben versinken können. Selbst nach einer kurzen Unterbrechung von 1-2 Minuten braucht unser Gehirn vergleichsweise 2-3x so lange, um wieder mit der gleichen Konzentriertheit wie zuvor bei der Sache zu sein. Die fehlende Tiefe kostet letztlich Produktivität, da wir länger brauchen und mehr Fehler machen.
Ziemlich unmögliche Gleichzeitigkeit
Die Fragmentierung unseres Denkens und Tuns verlockt uns zu einer „Gleichzeitigkeit“. Im Arbeits- sowie Privatleben neigen wir schnell zu dem Versuch, die Dinge parallel zu machen (Multitasking). Streng genommen existiert die Möglichkeit einer tatsächlichen parallelen Informationsverarbeitung im Gehirn jedoch gar nicht. Vielmehr ist unser unmittelbarer Aufmerksamkeitskanal relativ eng. Informationen werden daher mehr seriell als wirklich parallel verarbeitet. Zwar kann unser Gehirn bei gänzlich unterschiedlichen Aufgaben (bspw. Sprechen und Schuhe zubinden, oder Musik hören und gleichzeitig auf einem Malblock kritzeln) Ressourcen gut zuteilen, bei zwei ähnlichen geistigen Leistungen sieht dies jedoch anders aus. Aufmerksamkeit muss dann fortwährend umgeschaltet werden. Häufige Umschaltprozesse sind nicht nur anstrengend und erschöpfend für das Gehirn, sondern wissenschaftlich nachweislich auch die Ursache für mehr Fehler und einer längeren Aufgabendauer. Die Fähigkeit des raschen Umschaltens kann zudem kaum trainiert werden und nimmt im Alter deutlich ab. Obwohl die Folgen der Gleichzeitigkeit wissenschaftlich längst gut untersucht sind, gilt Multitasking nach wie vor als vermeintliche Auszeichnung hoher geistiger Leistungen. Das Gegenteil ist der Fall.
Reize, die uns überfluten
Durch den heute üblichen, steten Medienkonsum und „online Präsenz“ während der Arbeit oder im Privatleben entsteht im Gehirn ein hohes Maß an Reizflut. Teile unseres Vorderhirns bemühen sich fortwährend um schnelle Erfassung, Prüfung bzw. Filterung oder Löschung (Extinktion). Die Verarbeitungsschritte sind so aufwendig, daß andere wichtige Aufgaben ggf. zu kurz kommen. Durch eine anhaltende und hohe Reizflut kann bspw. der Umstand eintreten, daß weniger Ressourcen für assoziatives Denken zur Verfügung stehen. Bei der Entwicklung kreativer Ideen bspw. ist neben eines reizreichen Inputs zu Beginn nämlich die sog. Inkubation entscheidend wichtig. Hier verknüpft unser Gehirn Informationen und bildet Assoziationen. Ruhephasen nach reizreichen Situationen können daher sinnvoll sein für die Generierung kreativer Ideen. Genau diese Ruhe aber fehlt heute vielerorts. Internationale Studien konnten zeigen, daß die kreativen Leistungen der Menschen in den Industrienationen in den letzten 20 Jahren deutlich zurückgegangen sind. Offline Phasen, in welchen wir unseren Gedanken freien Lauf lassen, um gelöscht, verknüpft oder weiterentwickelt zu werden, gönnen wir uns meist nur noch selten. Ruhezeiten erscheinen uns wenig produktiv und werden in heutigen, hoch-dynamischen Arbeitsprozessen vorzugsweise gerne „wegrationalisiert“.
Tipps zum Umgang mit digitalen Medien
Nehmen Sie sich (nach Absprache mit Ihrer Führungskraft) für die wichtigste Sache des Tages eine Stunde Zeit, in der Sie sich voll und ganz, und ohne jegliche Form äußerer Ablenkung, ganz auf diese konzentrieren. Machen Sie sich in dieser Zeit nicht erreichbar. Vereinbaren Sie mit Ihren Kollegen oder Assistenten, daß Sie sie allenfalls bei Vulkanausbruch und gleichzeitiger Sintflut unterbrechen mögen. Ansonsten gehört die Stunde ganz Ihnen und dem Projekt bzw. der Aufgabe, die vor Ihnen liegt. Es ist IHRE Eigenzeit, in der Sie den wunderbaren Zustand genießen dürfen, der sich einstellt, wenn Ihr Gehirn tief in etwas versinkt. Tiefe kann nicht nur beim Lesen eines spannenden Romans auftreten, sondern selbst während (ggf. sogar ungeliebter) Arbeitsprozesse, wenn man sich nur ganz auf diese einlässt und sich Ihnen „hingibt“.
Wenn Sie der Sache noch ein Sahnehäubchen aufsetzen möchten, nehmen Sie hierfür jene Zeit des Tages, in der Sie geistig am leistungsfähigsten sind. Die Zeit, in der Sie Ihr größtes Potential entfalten, sollten Sie durch sorgfältige Selbstbeobachtung herausfinden. Es ist die Zeit des Tages, in der Sie besonders aufnahmefähig, konzentriert oder kreativ sind. Beantworten Sie in dieser Zeit keine Mails, denn hierfür wäre die Zeit zu schade. Ihre kognitive Kompetenz in der Mittagszeit nach dem Essen reicht hierfür allemal aus. Nutzen Sie Ihre beste Zeit lieber für das, was besonders wichtig ist, was Ihre berufliche Kernkompetenz oder Expertise ausmacht und was ggf. keine Fehler erlaubt. Vereinbaren Sie mit Kollegen oder Ihrer Sekretärin, daß Sie in dieser Stunde keine Anrufe entgegennehmen und ungestört an EINER Sache arbeiten möchten. Anfängliche Irritationen gehören zum Spiel.
Achtung: der größte Feind sind immer Sie selbst! Von essentieller Wichtigkeit ist es nämlich, die nötige Selbstdisziplin mit zu bringen und sich selbst diese Vorgehensweise gegen (eigenen) anfänglichen Widerstand anzutrainieren und konsequent beizubehalten. Der Widerstand kommt erfahrungsgemäß weniger vom eigenen Chef, sondern oftmals vielmehr aus Ihnen selbst. Innere Stimmen möchten Sie an viele unerledigte Dinge erinnern und ermuntern Sie zu den gewohnten Abläufen von schnellem Umschalten und oberflächlichen Springen. Lassen Sie sich nicht entmutigen und zwingen Sie sich ggf. anfänglich zu Ihrem neuen Freiraum. Mit etwas Übung und demütiger Geduld haben es viele meiner Patienten und Klienten geschafft die tiefe Stunde in Ihren Arbeitsalltag einzubauen und sie schätzen zu lernen. Das Ergebnis ist nicht nur eine wissenschaftlich erwiesene höhere Leistung, sondern auch ein Gefühl von Zufriedenheit und Glück.
Lernen Sie außerdem eine kurze Zeitspanne des Tages „abzuschalten“ und mit sich und ihren gewonnenen Eindrücken allein zu sein. Geben Sie nicht dem ersten Impuls nach bei einer möglicherweise aufsteigenden inneren Unruhe. Versuchen Sie diese Insel der Ruhe innerlich zuzulassen und willkommen zu heißen. Mit ein wenig Übung und der nötigen Bereitschaft einer konsequenten Verteidigung werden Sie die Früchte dieser „Eigenzeit“, darunter restaurierte Aufmerksamkeit und kreative Einfälle, ernten und genießen können.
Ein modernes Verständnis von Ergonomie am Arbeitsplatz berücksichtig „gehirngerechtes Arbeiten“. Im Hinblick auf die zunehmende Verdichtung und Beschleunigung von Arbeitsprozessen und die Steigerung paralleler Aufgabenbearbeitung, sowie der damit verbundenen zunehmenden Belastungen am Arbeitsplatz, tun wir (alle) gut daran uns mit diesen Aspekten zu beschäftigen. Auch das gehört zur Diskussion einer „Digitalisierung“, die zwar heutzutage in geradezu frenetischer Begeisterung feiert, was technisch alles möglich ist, aber dabei gerne vergisst, was unser Gehirn braucht, um richtig gut zu sein.
Blitzlichter
Aufmerksamkeit ist heute begehrt. Jeder versucht sie uns zu stehlen. Geht sie verloren, berauben wir uns eine der wichtigsten Eigenschaften des Gehirns, nämlich konzentriert in eine Sache einzutauchen. Erst durch Tiefe entsteht Leistung, Qualität und Genuss.
Multitasking ist bei gleichzeitigen intellektuellen Leistungen kaum möglich. Beide (!) Geschlechter tun sich hier schwer. Unser Gehirn muss ständig umschalten. Umschalten ist anstrengend und erschöpfend. Wer seriell arbeitet und lebt, macht weniger Fehler und spart Zeit.
Kreativität ist nur zum Teil Inspiration. Eine zeitlich begrenzte Reizflut kann zwar explosive Einfälle ermöglichen, das Weiterentwickeln von Ideen und Verknüpfen von Assoziationen braucht jedoch Ruhe. Gedanken müssen inkubieren können. Reizarmut hilft diesem Teil der Kreativität auf die Sprünge. Wer Ideen klug entwickeln möchte, braucht geistige Pausen. Langeweile schadet nicht, sie spornt geistig an.
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